Am 24.09.2015 haben Ernst Eggmann (SVP) und Mitunterzeichnende eine Motion mit folgendem Wortlaut eingereicht:
„Der Stadtrat wird beauftragt, den freien Zugang zu den Oltner Naherholungsorten und Quartieren allen Verkehrsteilnehmern (VT) wieder zu gestatten. Die unverhältnismässige Anordnung der flächendeckenden „Fahrverbote mit Zubringerdienst +“ (s.h. bundesgerichtliche Definition BGE 131 IV 138 und BGE 96 IV 42) hat er auf wenige Ausnahmen zu reduzieren.
Begründung:
Das Erlassen von flächendeckenden „Fahrverboten mit Zubringerdienst“, welches tausende Ausnahmen zulässt, stellt eine Diskriminierung aller übrigen VT im Sinne von Art. 8, Abs. 1 der Bundesverfassung dar. Das Strassenverkehrsgesetz verlangt seinerseits unmissverständlich (SSV), dass Verkehrsvorschriften für alle Verkehrsteilnehmer gleichermassen zu gelten haben (SSV Art. 2, Absatz 1). Wenn aber zur Regel wird, was eigentlich verboten ist, wird eine Verkehrsanordnung unsinnig. Das „Fahrverbot, ausg. Zubringerdienst“ wird vom Bundesgericht (s.h. oben) denn auch sehr eng ausgelegt und lässt keinen Raum zu für Ausnahmen für tausende! So aber Verkehr stattfindet, wo eigentlich keiner mehr stattfinden sollte, erübrigt sich ein „Fahrverbot ausg. Zubringer“, weil es falsch angesetzt ist und zu Diskriminierung gegenüber der andern VT führt.
Über 3/4 der Oltner Quartiere sind flächendeckend mit „Fahrverbot ausg. Zubringerdienst +“, abgeriegelt. Wilerfeld Ost / West, Meierhof, Hardfeld, Sonnhalde u.a. wurden quasi zur „verbotenen Stadt“! Olten sperrt defacto seine eigenen Leute aus! Quartiere und Naherholungsgebiete sollten allen VT gleichermassen zugänglich sein!
Das Verkehrsgesetz und die Bundesverfassung verlangen einerseits Anwendung der Verkehrsregeln auf alle VT resp. eine Gleichbehandlung aller Menschen und den Schutz der persönlichen Freiheit. Beides wird in Olten missachtet! Die Idee, Quartiere mittels Fahrverbot ausg. Zubringer abzuriegeln kann somit nicht zielführend sein, sie ist ungeeignet und verletzt SSV Art. 2, Abs. 1 und Art. 8, Abs. 1 der Bundesverfassung. Es kann grundsätzlich auch nicht angehen, dass den Einwohnern von Olten, welche Steuern für den Unterhalt der Infrastruktur zahlen, grossflächig der Zugang und die Nutzung zu genau dieser Infrastruktur verboten ist.“
Im Namen des Stadtrates beantwortet Stadtpräsident Martin Wey den Vorstoss wie folgt:
1. Ausgangslage
Das Gemeindeparlament genehmigte die geltenden Fahrverbote mit Zubringerdienst in drei Etappen: am 29. Juni 2000 für den Schöngrund mit 29:12 Stimmen, am 26. Januar 2006 für die Quartiere Fustlig und Wilerfeld mit 44:0 Stimmen und am 28. Mai 2009 für das Hardfeld- Waldheim- und Chnoblauchquartier mit 30:9 Stimmen. Die entsprechende Signalisationen wurden formell korrekt ausgeschrieben. Sämtliche Publikationen sind in Rechtskraft erwachsen.
2. Grundsätzliches
Der Motionär begründet sein Vorstoss im Wesentlichen mit Rechtswidrigkeit und Unverhältnismässigkeit der herrschenden Zubringerregelung, sowie deren diskriminierenden Wirkung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmenden.
Er bezieht sich dabei auf Art. 8 BV und Art 2 SSV. Nach Art. 8 Abs. 1 Bundesverfassung sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dieser kurze Satz beinhaltet weit mehr als auf den ersten Blick erkennbar. Die Ausführungen, Kommentare und Auslegungen dazu füllen ganze Bibliotheken. Nach einhelliger Meinung und Rechtsprechung stellt aber nicht jede Ungleichbehandlung eine Verletzung von Art. 8 BV dar. Ein Erlass verletzt das Rechtsgleichheitsgebot nur dann, wenn hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn Unterscheidungen unterlassen werden, die aufgrund der Verhältnisse hätten getroffen werden müssen (BGE 136 I 17 ff.). „Bei der Beurteilung, ob die tatsächlichen Unterschiede erheblich und vorgenommene Differenzierungen sachlich gerechtfertigt seien, ist vom Zweck des Erlasses auszugehen (…).“ (Häfelin/Haller/Keller: Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 8. Aufl. 2012 Rz. 754).
Bei einem Fahrverbot, welches eine Ausnahme für Zubringer vorsieht, wird auf das Kriterium „des persönlichen Bezugs zu einer Strasse“ abgestellt. Der Zweck der Norm liegt vornehmlich in der Beruhigung einer Strasse, indem der Durchgangsverkehr ferngehalten wird.
Die Unterscheidung basiert somit auf einem sachlichen Kriterium, welches geeignet erscheint, den Zweck der Vorschrift zu erfüllen. Dass dem so ist, wird weiter unten ausführlich dargelegt. Die Unterscheidung ist somit gerechtfertigt und zulässig, verstösst offensichtlich nicht gegen das Gleichheitsgebot.
Der Motionär führt weiter aus, dass das Fahrverbot, ausgenommen Zubringerdienst, kein Raum für Ausnahmen für Tausende lässt. Er begründet diese Behauptung mit der sehr engen Auslegung des Zubringerdienstes nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung. Dabei verkennt er, dass jede Zubringerregelung einen anderen Adressatenkreis anspricht. Nur die jeweiligen Zubringer profitieren von der Ausnahmeregelung, was denn auch durch die erwähnten Bundesgerichtsentscheide bestätigt wird. Eine Verallgemeinerung, dass alle Oltnerinnen und Oltner Zubringer sind, verkennt den Regelungszweck und würde den Gleichheitssatz ad absurdum führen.
Hinsichtlich des Arguments der Diskriminierung kann auf die obigen Ausführungen zum Gleichheitsgebot verwiesen werden, weil das Diskriminierungsverbot letztlich einen Ausfluss des Gleichheitsgebotes darstellt.
Bezugnehmend auf das Argument der Unverhältnismässigkeit gilt es, das entsprechende Prinzip näher zu erläutern. Der juristische Grundsatz der Verhältnismässigkeit fordert, dass die fragliche Verwaltungsmassnahme zur Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet und notwendig ist. Ausserdem muss der angestrebte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zu den Belastungen stehen, die den Privaten auferlegt werden (vgl. anstatt vieler: BGE 136 I 17 ff.).
Ein allgemeines Fahrverbot ausgenommen Zubringerdienst hat zum Zweck, den Durchgangsverkehr fernzuhalten und das entsprechende Quartier oder die Strassen zu beruhigen. Die Belastung der Privaten liegt im Verbot für alle Nicht-Zubringer, die Strasse mit dem Auto oder Motorrad befahren zu können.
Hinsichtlich der Zweckmässigkeit darf als unbestritten angenommen werden, dass eine Zubringerreglung eine Beruhigung für die Anwohner bewirkt. Diese Annahme wird weiter unten ausführlich belegt.
Mit dem Kriterium der Notwendigkeit wird verlangt, dass für die Erreichung des Zwecks die mildeste Massnahme eingesetzt wird. Eine Massnahme hat also zu unterbleiben, wenn eine gleich geeignete, aber mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg ausreichen würde (Häfelin/ Müller/ Uhlmann: Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, Rz. 591). Vorliegend ist nicht ersichtlich, welche mildere Massnahme eine Beruhigung der Strasse bewirken könnte.
Auch das Erfordernis der Verhältnismässigkeit von Zweck und Wirkung der Massnahme, die sogenannte Zumutbarkeit, scheint durch die Zubringerregelung nicht gefährdet zu sein. Denn entgegen den Ausführungen des Motionärs muss unterstrichen werden, dass die geltende Regelung die Nutzung der Infrastruktur nicht verbietet, sondern von einer Berechtigung abhängig macht. Verboten ist die reine Durchfahrt, nicht aber die Einfahrt bspw. für den Einkauf im Quartier, den Besuch von Bewohnern des Quartiers oder die Nutzung des Naherholungsangebots, sofern dieses ausschliesslich durch das betreffende Quartier erschlossen wird. Die Einschränkung für die Bewohner eines andern Oltner Quartiers wird im Übrigen kompensiert durch den Schutz der gleichen Personen in deren eigenen Quartieren.
3. Zwecktauglichkeit der Massnahme
Die erwähnten Massnahmen haben zu einer ganz wesentlichen Reduktion des Durchgangsverkehrs und zu einer stark verbesserten Wohn- und Sicherheitsqualität in den Quartieren der Stadt Olten geführt. Die Wirkungen werden nachfolgend am Beispiel des Fustlig- und Wilderfeldquartiers dargestellt:
Anlässlich des Projet urbain Olten Ost wurde im Jahr 2013 die Gesamtverkehrssituation auf der rechten Stadtseite überprüft und es wurden Verkehrserhebungen, namentlich zur Prüfung der Auswirkungen durch Einführung der Entlastung Region Olten (ERO) im April 2013, durchgeführt. Damit verbunden wurde die mögliche Einführung einer Verkehrsscheide auf Höhe der Engelbergstrasse als Massnahme zum Schutz vor der befürchteten Zunahme des Fluchtverkehrs aus der Achse Aarburgerstrasse-Postplatz-Aarauerstrasse auf die Sälistrasse-Gartenstrasse-Feldstrasse evaluiert und an öffentlichen Veranstaltungen auch mit der Quartierbevölkerung diskutiert. Im Verkehrscontrolling wurde festgestellt, dass die Anteile des unberechtigten Durchgangsverkehrs nach Eröffnung der ERO mit rund 5-6 % bezogen auf den Gesamtperimeter geringer waren als allgemein befürchtet. Die ERO hat jedoch zu Verlagerungen von den Anschlüssen entlang der Aarauerstrasse zum Sälikreisel hin geführt. Die Belastungen auf den Kommunalstrassen lagen, wie bereits auch anlässlich der Verkehrszählung 2010, grundsätzlich im Bereich der nach Strassenverkehrsnorm definierten Belastungswerte. Dieses durchaus als positiv zu bewertende Resultat, namentlich auch der relativ geringe Anteil an unberechtigtem Durchgangsverkehr, ist auf die Wirkung der Zubringerregelung und Einbahnregimes zurückzuführen.
Aufgrund der eher ablehnenden Reaktionen aus der Bevölkerung und den zufriedenstellenden Resultaten aus dem Verkehrscontrolling entschied der Stadtrat in der Folge, auf die Einführung der Verkehrsscheide vorläufig zu verzichten und die Situation weiter zu beobachten. So wurde die periodische Strassenverkehrserhebung des Kantons im Jahr 2015 auf das Gemeindestrassennetz südlich der Aarauerstrasse ausgedehnt.
Die Verkehrszählung 2015 zeigt wiederum, dass die Eröffnung der ERO die Verkehrsmengen im Bifang-/Säliquartier und den umliegenden Hauptachsen merkbar beeinflusst hat. Mit dem neuen Anschluss hat der Sälikreisel eine deutliche Attraktivitätssteigerung erfahren. Dies ist mit ein Grund für folgende Veränderungen auf dem Verkehrsnetz:
• Die Hauptachsen mit direktem Bezug zum Sälikreisel verzeichnen eine deutliche Zunahme der Verkehrsbelastung
• Der Einkaufsverkehr zum Sälipark erfolgt vermehrt über den Sälikreisel statt von Norden durchs Quartier
• Die Quartiererschliessung des Bifang- und Säliquartiers über den Sälikreisel ist deutlich attraktiver geworden
Die vermehrte Quartiererschliessung des Bifang-/Säliquartiers über den Sälikreisel zeigt sich insbesondere dadurch, dass die Verkehrsmengen auf den Quartierachsen Ost-West (bspw. Riggenbachstrasse) abgenommen und diejenigen Nord-Süd (Reiserstrasse, Garten- und Feldstrasse) zugenommen haben. Zudem hat die Verkehrsmenge auf dem östlichen Abschnitt der Sälistrasse deutlich zugenommen. Der Durchgangsverkehr scheint indes weiterhin eine untergeordnete Rolle zu spielen. Dies zeigt sich in der verhältnismässig geringen Zunahme der Verkehrsbelastung auf der Garten-/Feldstrasse, Hinweise dazu hat bereits das Verkehrscontrolling 2013 geliefert.
Auch für die Erschliessung des Säliparks bzw. für den Einkaufsverkehr ist der Sälikreisel offenbar attraktiver geworden. Jedenfalls verzeichnet der westliche Abschnitt der Sälistrasse eine starke Verkehrszunahme, die Zufahrtsstrassen nördlich von Sälipark Verkehrsabnahmen (minus rund 20-30% auf der Riggenbach-, von Roll- und Bifangstrasse).
Auf der südlichen Tannwaldstrasse wurde eine sehr deutliche Reduktion der Verkehrsbelastung festgestellt. Dies ist auf verschiedene Änderungen am Verkehrsregime zurückzuführen (Fahrverbot mit Zubringerdienst auf der Tannwaldstrasse Nord, Einführung Einbahnregimes und Begegnungszone Tannwaldstrasse etc.), welche zu einer Reduktion des Durchgangsverkehrs von/in Richtung Norden (Achse Tannwaldstrasse-Haslistrasse) geführt haben.
Auch auf der Alten Aarauerstrasse und Von-Rollstrasse haben die Verkehrsmengen abgenommen. Dies kann mit einer Reduktion des Ausweichverkehrs von Osten (aus Richtung Starrkirch) und dem neuen Regime auf der Tannwaldstrasse begründet sein.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Verkehrsentwicklung im Säli-/Bifangquartier ein heterogenes Bild zeigt. Auf der Hauptachse Aarburg-Postplatz ist eine deutliche Verkehrszunahme zu verzeichnen. Im Quartier wurden ebenfalls vielerorts Reduktionen der Verkehrsbelastungen festgestellt, einzelne Nord-Süd-Achsen verzeichnen Verkehrszunahmen.
Dank den getroffenen Massnahmen wie Fahrverbot mit Zubringerdienst und Tempo 30 liegt das Verkehrsaufkommen in Olten Ost prinzipiell durchwegs im Bereich der nach Norm definierten Belastungsgrenzen. Der Verkehr ist aber auf einzelnen Strassen und insgesamt höher als in anderen Wohnquartieren. Die Gründe dafür liegen in erster Linie in der Grösse und Nutzungsintensität des Gebiets. Wie die Verkehrserhebungen zeigen, hat die Eröffnung der ERO zu einer Verlagerung von Verkehrsbeziehungen ab der Aarauerstrasse zum Sälikreisel hin geführt. Der unberechtigte Durchgangsverkehr ist aber dank der Massnahmen offenbar weiterhin kein vordringliches Problem.
Die Situation auf der rechten Aareseite wird weiterhin beobachtet und nach Möglichkeit weiter entwickelt, aktuell beispielsweise aus Anlass und koordiniert mit dem Projekt Sälipark 2020.
4. Fazit des Stadtrates
Die bestehenden Fahrverbote mit Zubringerdienst, welche zu den obenstehenden Ergebnissen führten, wurden zum Schutz der Wohnquartiere eingeführt und haben sich bewährt. Die Massnahmen zum Schutz vor unberechtigtem Durchgangsverkehr greifen offensichtlich. Eine Öffnung bspw. auf der Achse Säli-/Garten-/Feld-strasse hätte massiv negative Auswirkungen auf die Situation und Entwicklung des ganzen Quartiers. Die Verkehrsmassnahmen in den Erschliessungsstrassen der Quartiere wie bedingte Durchfahrtsperren oder Einbahnregimes sind integraler Teil des Verkehrssystems. Eine Aufhebung dieser Massnahmen und Öffnung der Quartiere für den Durchgangsverkehr würde zentralen verkehrspolitischen Zielen des Stadtrates und des Kantons widersprechen.
Aufgrund der Erwägungen beantragt der Stadtrat dem Parlament, die vorliegende Motion abzulehnen.